Auch für uns Vocal Coaches und Gesangslehrer:innen gibt es immer mal wieder ein „erstes Mal“. So auch für Gideon Clark und mich am zweiten Juli-Wochenende in diesem Jahr. Wir wurden nämlich von den Fresh Tones aus Wien gebeten für sie einen Chor-Workshop zu veranstalten. Wie dieser gelaufen ist und vor allem wie unser Plan und unsere Umsetzung ausgesehen haben, kannst du in diesem Beitrag lesen. 

Wie es dazu kam…

Gideon Clark und ich arbeiten beide schon längere Zeit als Vocal Coaches und Gesangslehrer. Und klarerweise wissen unsere Freunde ebenfalls von unseren Tätigkeiten. So kam es dazu, dass ein gemeinsamer Freund, der uns bereits Anfang 2020 als „Snowboard-Instructores“ angeworben hatte die Frage stellte, ob wir uns vorstellen könnten einen Chor-Workshop zu organisieren. Ehrlich gesagt waren wir beide anfangs etwas überrascht von der Frage und wussten nicht so recht was wir darauf antworten sollten. Wir geben beide zwar schon lange Zeit Unterricht, aber meistens in 1:1 Settings, oder jeder für sich in Onlinekursen, aber bisher noch nie gemeinsam im Rahmen eines Workshops und noch weniger für einen Chor. 

Brainstorming und Vorbereitungen

Aber, wir wollten uns der Herausforderung stellen und stellten uns zu allererst die Frage, was wir selbst in (Chor-)Workshops und während unserer Studien so gelernt haben. Da war von A bis Z alles dabei – angefangen beim Lernen von einzelnen Stimmen, Gehörschulung und das Üben von gemeinsamem Singen, Atem- und Gesangstechnik, Rhythmustraining, Improvisation, Körperarbeit, Bewegung, Bodypercussion und Choreos, um nur ein paar zu nennen.
Da das Spektrum ein sehr großes ist und wir natürlich einen individuell und fein zugeschnittenen Workshop für die Teilnehmer:innen kreieren wollten, entschieden wir uns einmal nachzufragen, welche Themen denn die Fresh Tones aktuell beschäftigen. Auf dieser Basis konnten wir dann grundlegende Themen finden, mit denen wir arbeiten konnten. 

Inputs und Themenübersicht

Inputs vorab einholen ist immer eine gute Sache, gerade bei größeren Gruppen und Themen die so breit sind wie die oben erwähnten. Außerdem konnten wir so nicht Gefahr laufen, etwas abzuhandeln, dass A) entweder schon jede/r im Chor kannte und wusste, oder B) zu weit fortgeschritten war, dass die Teilnehmer:innen uns nicht folgen konnten. 

Da die Chorleiterin Alice englischsprachig ist, kamen die Inputs ebenfalls in englischer Sprache und waren unter anderem:

  • Projections (using chest/body to sing louder, general confidence when singing)

Voice oder Vocal Projection kann man grob als „Stimmpräsenz“ übersetzen. Umrissen geht es darum, die Stimme so einsetzen zu können wie man es möchte – ob nun zB. in Hinblick auf Lautstärke, Klarheit, Durchsetzungskraft, oder Sound. Im Speziellen ging es den Fresh Tones um die Möglichkeit gemeinsam Fortissimo singen zu können, also Dynamik in ihre Stücke zu bringen.

  • Rhythmic/Timing (maintaining speed without accompanying instruments)

Rhythmus und Timing sind grundlegende Dinge innerhalb der Musik. Ich persönlich bin der Meinung, dass vom Publikum in den meisten Fällen schneller ein falscher Ton verziehen wird, als ein rhythmisches Kuddel-Muddel. Aber darüber lässt sich natürlich streiten.

Auch innerhalb eines Chores ist Rhythmus sehr wichtig – vielleicht sogar noch wichtiger, als als Solist:in, da ein Chor einheitlich als gemeinsame große Stimme nach außen zum Publikum auftritt. Sind einzelne Chormitglieder rhythmisch unsicher, fällt das natürlich gleich auf, da dies schnell „heraussticht“. Außerdem erledigen sich tonale Unsicherheiten oftmals von ganz alleine, sobald der Rhythmus sitzt. Die Fresh Tones wollten genauer an Off-Beats und Synkopen arbeiten, um mehr rhythmische Sicherheit innerhalb ihrer Stücke zu bekommen.

  • Body Percussion (self-confidence)

Die Fresh Tones hatten bereits einige Stücke mit Body Percussion im Programm. Einige davon waren allerdings sehr komplex und zeitgleich Gesang und Body Percussion zu kombinieren ist nicht nur für Laien oftmals eine Herausforderung.

  • Sinking (keeping a tone level throughout a song)

Jedem Sänger und jeder Sängerin passiert es immer mal wieder, das Töne entweder etwas zu tief (flat) oder etwas zu hoch (sharp) gesungen werden. Manchmal hängt es damit zusammen, dass man sich On Stage nicht gut hören kann, wenn zB. das Monitoring nicht ausreichend ist. Die häufigeren Gründe sind meiner Erfahrung nach allerdings in den meisten Fällen Themen bei Atem- und Gesangstechnik und Unsicherheiten die sich hier äußern. Auch fehlende Ausdauer der Stimme (Vocal Stamina) sind ein Thema – dabei geht es darum, das Performancelevel der Stimme über einen längeren Zeitraum halten zu können, ohne das die Stimme müde oder gar heiser wird. Dies erreicht man auch mit gezieltem und regelmäßigen Training der Stimme.

  • Breathing and holding notes

Auch bei diesen Punkten kommen wir in den Bereich der Atem- und Gesangstechnik.

Umsetzung vor Ort

Die Vorgabe war Samstag jeweils 2 Stunden vormittags und 2 Stunden nachmittags. Sonntag waren nochmal 2 Stunden vormittags Zeit, um sich mit den gemeinsamen Themen zu beschäftigen. Wir mussten also überlegen, wie wir in 6 Stunden den 13 Teilnehmer:innen, die essentiellen Inputs mitgeben können, damit alle gleichermaßen von dem Wochenende profitieren konnten. Ergänzend gab es von unserer Seite das Angebot nach dem Workshop im Rahmen von 1:1 Sessions noch individuell mit uns an Themen arbeiten zu können. Dieses Angebot wurde von einigen Teilnehmer:innen auch sehr gerne angenommen

Tag 1

Im ersten Vormittagsblock begannen wir nach einer kurzen Vorstellung unsererseits mit der stimmtechnischen Komponente. Wir begannen mit einer gemeinsamen Aufweck- und Aufwärmrunde. Immerhin war es 10 Uhr am Vormittag. Ich nenne diesen Teil auch gerne „Check-In“, um im Moment anzukommen, Bewusstsein für sich den Körper und die Stimme zu schaffen und locker zu werden. Die gemeinsamen Körperübungen heiterten die Stimmung direkt auf und ließ uns gut auf die Gruppe einstimmen. Wir hatten auch ein 13-seitiges Skript auf Basis der Inputs erstellt, das wir an alle Teilnehmer:innen austeilten.

Der erste Teil beinhaltete theoretische und praktische Grundlagen zur Anatomie des Stimmapparates, sowie der Atem- und Zwerchfellmuskulatur inklusive Atemübungen, die im Skript festgehalten und so auch zuhause wiederholt werden können.
Danach folgte ein „Easy Daily Warm Up“, hauptsächlich mit SOVT-Übungen den wir mit den Teilnehmer:innen gemeinsam durchgeführt haben und der die Stimmen gut aufwärmen sollte.

In diesem Blogartikel kannst du mehr über SOVT-Übungen und wie du von ihnen profitieren kannst erfahren. 

 Auch diese Übungen waren alle schriftlich im Skript nachzulesen und können so jederzeit wiederholt werden. Außerdem gingen wir auf typische Herausforderungen beim Singen und die möglichen Lösungen ein. Weitere praktische Übungen zu den genannten Herausforderungen und Inputs rundeten den Block am Ende noch gut ab. 

Danach gab es ein wunderbares gemeinsames Mittagessen und ich möchte mich hier auch nochmal herzlichst für die Einladung dazu bedanken😊

Im zweite Teil am Nachmittag wurde der Fokus von uns auf die Themen Rhythmus und Timing gelegt. Wir arbeiteten mit den Teilnehmer:innen sowohl theoretisch, als auch praktisch an klassischen Rhythmuspyramiden und diversen Patterns inklusive Off-Beats und Synkopen. Als Unterstützung wählten wir Rhythmuswörter („du-bi’s“), um die Umsetzung in der Gruppe leichter und für jede/n einzelne/n fühlbarer zu machen. Wir variierten die Übungen, sowohl mit Rhythmusüberlagerungen, als auch mit unterschiedlichen Tönen, um das Gruppenerlebnis vor allem im Chor noch zu steigern.

Zum Abschluss gab es unsere wunderbaren „Klangsäulen„. Darunter verstehen wir eine freie Improvisation in der Gruppe. An diesem ersten Tag gaben wir den Teilnehmer:innen die Vorgabe ihr Bewusstsein auf die gelernten Inhalte des Tages (Gesangstechnik und Rhythmuspattern) innerhalb der freien Improvisation zu lenken.

Für all jene die noch an ihren persönlichen Themen arbeiten wollten, war danach noch genügend Zeit für die Einzelsessions und nach einem gemeinsamen abendlichen Grillen gab es noch ein Lagerfeuer-Highlight bei dem gewählte Chorstücke von allen rund ums Lagerfeuer gesungen wurden. Ein schöner Ausklang des Abends, der gegen Mitternacht für uns zu Ende war.

Tag 2

Der zweite Tag begann leider mit Regen, darum mussten wir unseren Workshop nach drinnen in die Hütte verlegen. Es war zwar etwas kuschelig, aber für jede/n genügend Platz. 
Wir hatten am Vorabend noch beschlossen, dass wir wieder mit einem Warm-Up und einem kurzen Recap beginnen wollen. Wir sind hier nochmal auf Stimmtechnik – im speziellen auf das Thema „Twang“ und die Möglichkeit von Fortissimo innerhalb des Chores eingegangen. Außerdem haben wir ausgewählte Stücke, sowohl im Hinblick auf Stimmtechnik, Voice Projection, als auch Rhythmik gemeinsam bearbeitet. Die Rhythmus-Motivation war zwar nach der intensiven Einheit am Vortag nicht so überragend, dennoch waren alle Teilnehmer:innen dabei und konnten bereits die ersten rhythmischen Fortschritte bemerken.

Da die „Klangsäulen“ so großen Anklang gefunden haben, kam Gideon auf die Idee diese Richtung noch stärker zu bedienen. Er hat im Rahmen seines Kompositionspädagogikstudiums nämlich über das Thema „Soundpainting“ gelernt. Soundpainting beschreibt im Prinzip eine Zeichensprache mit der der/die Komponist:in – oder in unserem Fall der/die Workshopleiter:in in Echtzeit komponieren kann. Durch bestimmte Hand- und Körpergesten, die den Teilnehmer:innen vorab bekannt sind, kann daher der Soundpainter wirklich in Echtzeit dem Chor Anweisungen geben und so ein Stück frei komponieren. 

Hier gaben wir nach unseren Runden den Raum für die Teilnehmer:innen frei, die dies ebenfalls einmal ausprobieren wollten, was ihnen ungemeinen Spaß gemacht hat. 

Danach baten wir mit Hilfe von Feedbackbögen, um ehrliches und anonymes Feedback, welches auch uns sehr wichtig war, da wir uns natürlich selbst stetig verbessern wollen und außerdem neugierig waren, wie wir uns bei unserem allerersten Chor-Workshop geschlagen haben.
Dann war wieder Zeit für Einzelsessions, die gerne angenommen wurden. Vor allem hier konnten wir innerhalb der kurzen Zeit am meisten aus den Stimmen und der Performance von den einzelnen Teilnehmer:innen herausholen und an ihren ganz speziellen Themen arbeiten. 

Reflexion

Rückblickend können wir sagen, dass wir uns wirklich reingehängt haben, um alle Facetten die gefragt waren so gut wie möglich abzudecken. Gerade in unserer Branche muss man immer darauf achten, nicht vom hundertsten ins tausendste zu kommen und versuchen die individuellen Themen aufzugreifen und gut und verständlich zu bearbeiten. Gerade innerhalb eines Chor-Workshops, bei dem die Teilnehmer:innen komplett unterschiedlich sein können ist es oft schwierig einzuschätzen, was vielleicht zu viel, oder zu wenig ist. Hier haben uns die Inputs die wir vorab von Alice, der Chorleiterin der Fresh Tones bekommen haben sehr geholfen, um den Fokus nicht zu verlieren, und die Themen einzugrenzen. Außerdem bekam so der Workshop wirklich seine individuelle Note und wurde nicht als Einheitsbrei über alle gestülpt, was uns von Beginn an sehr wichtig war.

Feedback der Teilnehmer:innen

Zum Ende möchte ich noch einige (nicht alle, um dich als Leser:in nicht zu sehr zu strapazieren) Feedbacks der Teilnehmer:innen zitieren, die wir via Feedbackbogen am Ende des Wochenendes eingesammelt haben. Feedback ist für einen selbst immer wichtig, um an sich selbst zu arbeiten und sein Konzept zu verfeinern. 

T1:“Gideon und Yvonne sind super motiviert und engagiert und nehmen sich die Zeit für all deine Anliegen und gehen sicher, dass du alles verstehst. Durch das aktive Mitmachen lernst du deinen Körper und deine Stimme besser kennen und entdeckst neue Wege damit zu musizieren. Die Klangsäulen haben gezeigt, wie gut wir miteinander arbeiten können […] Hoffentlich machen wir einen Follow-Up-Kurs!“

T2:“Wenn du lernen möchtest, wie unsere Stimme funktioniert und du mit Technik Probleme beim Singen bewältigen willst, dann nimm‘ unbedingt an diesem Workshop teil!“

T3:“Spannende Inhalte, gute Mischung aus Theorie & Praxis. Instruktor:innen gehen flexibel auf Wünsche ein. Idealerweise mit einer Einzelstunde verbinden.“

T4:“Der Workshop ist super wenn du Freude am Singen, aber noch keine Ahnung von Technik hast. Damit kannst du deine Range erweitern und Sicherheit bei höheren Tönen gewinnen. Du kannst wahrscheinlich mehr aus dir herausholen, als du glaubst.“

T5:“Wir haben richtig viele neue Aufwärmübungen gemacht, die auch echt helfen, seine Stimme besser zu kontrollieren. Die Kursleiter haben immer richtig gut erklärt WARUM wir diese Übungen machen und wirklich darauf geachtet, dass wir sie richtig machen. Beim Rhythmus muss man sich am Anfang ein bisschen durchbeißen, aber am nächsten Tag ist es schon viel besser gegangen. Und wenn ihr Glück habt, machen sie coole Klangsäulen mit euch. Generell sind Yvonne und Gideon ur engagiert und passen sich extrem dem Niveau und den Wünschen der Sänger:innen an. Und außerdem sind sie arg lustige und leiwande Menschen, mit denen der Kurs einfach Spaß macht.“ 

 

Alles in allem waren alle Beteiligten am Ende des Wochenendes super zufrieden und um einiges an neuen Erfahrungen reicher. 🙃

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:Stimme
  • Beitrags-Kommentare:0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar